Von der modernen Sklaverei
Kapitel I: Epigraph
„Mein Optimismus basiert auf der Gewissheit, dass
diese Zivilisation am zusammenbrechen ist. Mein Pessimismus liegt darin, dass
wir in diesem Fall mitgezogen werden.“
Kapitel II: Die moderne Sklaverei
„’s ist Fluch der Zeit, dass Irre Blinde führen!“
William Shakespeare
Moderne Sklaverei ist eine freiwillige
Sklaverei, gebilligt von den Massen der Versklavten, die über das Angesicht der
Erde kriechen. Sie selbst kaufen die Waren, die sie jeden Tag ein bisschen mehr
unterwerfen. Sie selbst rennen einer immer entfremdenderen Arbeit hinterher,
die ihnen grosszügigerweise gegeben wird, solange sie genügend folgsam sind. Sie
selbst suchen sich die Herren aus, denen sie dienen müssen. Damit diese absurde
Tragödie stattfinden kann, ist es nötig dieser Klasse das Bewusstsein ihrer
Ausbeutung und ihrer Entfremdung wegzunehmen. So ist die seltsame Moderne
unserer Zeit. Gleich wie die Versklavten der
Antike, die Leibeigenen des Mittelalters und die Arbeiter_innen der ersten
industriellen Revolution, existiert heute eine total versklavte Klasse, nur
dass sie es nicht weiss oder wissen will. Sie ignorieren die Rebellion, die die
einzige legitime Reaktion der Ausgebeuteten sein sollte. Sie akzeptieren ohne
Diskussion das klägliche Leben, welches für sie konstruiert wurde. Der Verzicht
und die Resignation ist die Quelle ihres Unglücks.
So ist der Albtraum der modernen Versklavten,
welche nichts anderes anstreben, als im makaberen Tanz des Systems der
Entfremdung mitgetragen zu werden.
Die Unterdrückung modernisiert sich indem sie
die Formen der Mystifizierung überall ausbreitet, die ihr ermöglicht unsere
sklavischen Bedingungen zu kaschieren.
Die wahre Subversion liegt darin, zu zeigen wie
die Realität wirklich ist und nicht so wie sie die Mächtigen darstellen.
Nur die Wahrheit ist revolutionär.
Kapitel III: Die territoriale Planung und
die Behausung.
„Der
Urbanismus ist diese Inbesitznahme der natürlichen und menschlichen Umwelt
durch den Kapitalismus, der, indem er sich logisch zur absoluten Herrschaft
entwickelt, jetzt das Ganze des Raums als sein eigenes Bühnenbild umarbeiten kann und muss.“
Guy
Debord, Die Gesellschaft des Spektakels
Je mehr die Versklavten ihre Welt durch
ihre entfremdete Arbeit konstruieren, desto mehr wird das Bühnenbild dieser
Welt zum Gefängnis in dem sie leben müssen. Eine schmutzige Welt, ohne Geruch
und Geschmack, die das Elend der vorherrschenden Form der Produktion birgt.
Dieses Bühnenbild ist im Zustand der
permanenten Konstruktion, nichts in ihm ist konstant. Die unablässige
Umgestaltung des Raums, welcher uns umgibt, findet ihre Rechtfertigung im
flächendeckenden Gedächtnisverlust und in der Unsicherheit, in welcher die Bevölkerung
leben muss. Es geht darum, alles zu ändern, so dass es am Bild des Systems entspricht:
jeden Tag wird die Welt ein kleines Bisschen dreckiger und lauter, wie eine
Fabrik.
Jeder Teil dieser Welt ist Eigentum
eines Staates oder einer Privatperson. Dieser soziale Raub welcher die ausschliessende
Aneignung des Bodens ist, findet sich verwirklicht in der Allgegenwart von
Mauern, Gittern, Zäunen, Schranken und Grenzen… dies sind die sichtbaren Spuren
dieser Teilung, die sich überall verbreitet.
Parallel dazu ist das grosse Ziel
unserer traurigen Epoche die Vereinheitlichung des Raumes gemäss den Interessen
der Warenkultur. Die Welt soll sich in eine riesige und effiziente Autobahn
wandeln um den Transport der Waren zu erleichtern. Jedes Hindernis, natürlich
oder menschlich, soll zerstört werden.
Die Behausung
der modernen Versklavten ist das genaue Abbild ihres Lebens: sie gleicht den
Käfigen, den Gefängnissen, den Höhlen. Im Gegensatz aber zu den Versklavten
oder zu den Gefangenen, müssen die Ausgebeuteten der Moderne für ihren Käfig
bezahlen.
„Denn
nicht der Mensch, sondern die Welt ist abnormal geworden.“
Antonin Artaud
Kapitel
IV: Die Ware
„Eine Ware scheint auf den ersten
Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt,
dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer
Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“
Karl Marx, Das Kapital
In dieser engen und düsteren Behausung horten die
Ausgebeuteten die neuen Waren, die, wie ihnen die allgegenwärtige
Werbung verspricht, Glück und Befriedigung bringen sollen. Je mehr
Waren sie aber anhäufen, desto mehr entfernt sich die Möglichkeit von
ihnen eines Tages dieses Glück zu erreichen.
„Denn
was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner
Seele Schaden?“
Markus Evangelium 8.36
Die Ware, ideologisch
in ihrem Sein, raubt dem der sie produziert die Arbeit und dem der sie
konsumiert das Leben. Im herrschenden ökonomischen System ist es nicht mehr die
Nachfrage, die das Angebot bestimmt, es ist das Angebot das die Nachfrage
bestimmt. Neue Bedürfnisse werden konstruiert und von der grossen Mehrheit der
Bevölkerung schnell als lebenswichtige Bedürfnisse angesehen: begonnen beim
Radio, dann dem Auto, dem Fernsehen, dem Computer und heute dem Mobiltelefon.
Alle diese Waren, die
innert kürzester Zeit in riesigem Umfang verbreitet werden, ändern die
zwischenmenschlichen Beziehungen bedeutend: sie
dienen einerseits der Isolierung des Menschen von seinen Mitmenschen und
andererseits der Verbreitung des herrschenden Gedankengutes des Systems. Die Dinge die du besitzt, werden letztendlich
dich besitzen.
Kapitel
V: Die Ernährung
„Was
für die Einen Nahrung, ist für die Anderen Gift.“
Die Art der
modernen Versklavten sich zu ernähren, zeigt gut den Zustand der Dekadenz in
dem sie sich befinden. Über immer weniger Zeit verfügend um ihr Essen
zuzubereiten und hinunterzuschlingen, sind sie gezwungen, das zu essen, was die
agrochemische Industrie produziert. Sie irren in den Supermärkten umher, auf
der Suche nach dem Ersatz, der ihnen die Gesellschaft in ihrem falschen Überfluss
anbietet. Einmal mehr haben sie nur die Illusion einer Auswahl. Der Überfluss an
Nahrungsmitteln versteckt nur deren Verschlechterung und Fälschung. Es handelt
sich um nichts anderes als genetisch veränderte Organismen, eine Mischung aus
Farb- und Konservierungsstoffen, Pestiziden, Hormonen und weiteren unzähligen
Erfindungen der Moderne. Der sofortige Genuss ist die Motivation der vorherrschenden
Ernährungsform, es ist die Motivation für jede Form des Konsums. Und die
Konsequenzen dieser Art der Ernährung sind überall sichtbar.
Aber
gegenüber der Armut der Mehrheit erfreut sich der westliche Mensch an seiner
Position und seinem unbändigen Konsum. Trotzdem ist das Elend überall, wo die
totalitäre Warengesellschaft regiert. Der Mangel ist die Kehrseite der Medaille
des falschen Überflusses. Und in einem System das die Ungleichheit als Merkmal
des Fortschritts sieht, wird der Hunger niemals verschwinden. Dies obwohl die agrochemische
Produktion für die Ernährung der gesamten Menschheit ausreichen würde.
„Sie
haben sich eingeredet, der Mensch, der schlimmste Übeltäter unter allen
Lebewesen, sei die Krone der Schöpfung. Alle anderen Kreaturen seien nur
erschaffen worden, um ihm Nahrung und Pelze zu liefern, um gequält und
ausgerottet zu werden.“
Isaac Bashevis Singer
Die andere
Konsequenz dieses falschen Nahrungsmittelüberflusses ist die Verbreitung von
Konzentrationsfabriken und die massive und barbarische Ausrottung der Arten,
welche der Ernährung der Versklavten dienen. Denn in der Zerstörung liegt der Kern
der herrschenden Produktionsart. Das Leben und
die Menschheit widersetzen sich nicht der Begierde nach Profit einiger weniger.
Kapitel
VI: Die Zerstörung der Umwelt
„Wie
traurig zu denken, dass die Natur spricht und die Menschheit nicht zuhört.“
Victor Hugo
Die Plünderung
der natürlichen Ressourcen des Planeten, die massive Produktion von Energie und
Waren, der Ausschuss der Überproduktion und anderer Abfall des zur Schau
gestellten Konsums belasten die Möglichkeiten des Überlebens unserer Erde und
der Arten, die sie bevölkern. Um mit dem brutalen Kapitalismus mitzuhalten,
darf das Wachstum niemals enden. Es muss produziert, produziert und immer
weiter produziert werden.
Und es sind die
gleichen Umweltzerstörenden, die sich heute als potentielle Rettende des Planeten
darstellen. Diese Dummköpfe der Unterhaltungsindustrie, die von den
Multinationalen finanziert werden, versuchen uns davon zu überzeugen, dass
eine kleine Änderung unserer Lebensgewohnheiten ausreicht, den Planeten vor der
Katastrophe zu retten. Und während sie uns beschuldigen, fahren sie damit fort
ohne Ende unsere Umwelt und unsere Gedanken zu verpesten. Diese armen
pseudo-ökologischen Thesen werden von korrupten Politikern zur Eigenwerbung
immer wieder wiederholt. Aber sie hüten sich davor einen radikalen Wechsel des
Produktionssystems vorzuschlagen. Es wird wie immer so gehandelt, dass zwar
einige Details geändert werden, jedoch im Grossen und Ganzen alles wie bisher
bestehen bleibt.
Kapitel
VII: Die Arbeit
Arbeit, im Alt- und Mittelhochdeutschen herrscht die
Wortbedeutung „Mühsal“, „Strapaze“, „Plage“ vor.
Um in den Reigen
dieses hektischen Konsums einzutreten, braucht es Geld und um Geld zu erhalten,
muss gearbeitet werden, was bedeutet sich zu verkaufen. Das dominante System
hat die Arbeit zu seinem wichtigsten Wert erhoben. Und die Versklavten müssen
immer mehr arbeiten um auf Pump ihr miserables Leben zu finanzieren. Sie verbrauchen
sich in ihrer Arbeit, verlieren den grössten Teil ihrer Lebenskraft und
erleiden die schlimmsten Erniedrigungen. Sie verbringen ihr ganzes Leben in
einer ermüdenden und langweiligen Tätigkeit für den Profit einiger weniger.
Die Erfindung
der modernen Arbeitslosigkeit hat den Sinn die Arbeitenden zu ängstigen und sie
den Mächtigen gegenüber unendlich dankbar zu machen, die sich so grosszügig mit
ihnen zeigen. Was würden die Versklavten machen ohne diese Folter der Arbeit?
Diese entfremdenden Tätigkeiten, die ihnen als Befreiung präsentiert werden.
Was für eine Erniedrigung und was für ein Elend?
Immer gehetzt durch
die Stoppuhr oder die Peitsche, wird jede Handlung der Versklavten daran
gemessen, ob die Produktivität gesteigert wird. Die wissenschaftliche Organisation
der Arbeit ist das Wesen selbst der Enteignung der Arbeitenden, der Frucht
ihrer Arbeit aber auch der Zeit, die sie in der automatischen Produktion der
Waren oder Dienstleistungen verbringen. Die Rolle der Arbeitenden wird mit
derjenigen der Maschine in der Fabrik oder der des Computers im Büro
verwechselt. Bezahlte Zeit kommt nicht mehr zurück.
So bekommen
alle Arbeitenden eine sich wiederholende Aufgabe zugewiesen, sei es eine
geistige oder körperliche. Sie sind Spezialisten in ihrem Fachgebiet. Diese
Spezialisierung findet sich auch auf weltweiter Stufe, bei der internationalen
Arbeitsteilung. Gedacht wird im Westen, produziert in Asien und gestorben in
Afrika.
Kapitel VIII: Die Kolonisierung aller
Lebensbereiche
„Es ist der Mensch als Ganzes, der durch die
Organisation der Arbeit auf das produktive Verhalten konditioniert ist, und
ausserhalb der Fabrik behält er die gleiche Haut und den gleichen Kopf.“
Christophe Dejours
Die modernen Versklavten
könnten sich mit ihrer Knechtschaft der Arbeit zufriedengeben, aber in dem
Masse, wie das Produktionssystem alle Sektoren des Lebens kolonisiert, verschwenden
die Unterdrückten ihre Zeit in Freizeitbeschäftigungen, Vergnügungen und
organisierten Ferien. Keinen Moment ihres Lebens entfliehen sie dem Einfluss
des Systems. Jeder Moment ihres Lebens wird kolonisiert. Sie sind Vollzeit-Versklavte.
Kapitel IX: Die Warenmedizin
„Die Medizin lässt einen langsamer sterben.“
Plutarch
Der
allgemeine Zerfall ihrer Umwelt, die Verschlechterung der Luft die sie atmen
und der Nahrung die sie konsumieren; der Stress ihrer Arbeitsbedingungen und
der Gesamtheit ihres sozialen Lebens sind die Ursachen der neuen Krankheiten der
modernen Versklavten.
Il est malade de sa condition servile et aucune médecine ne pourra
jamais remédier à ce mal. Seule la libération la plus complète de la
condition dans laquelle il se trouve enfermé peut permettre à l’esclave
moderne de se libérer de ses souffrances.
Die westliche
Medizin kennt kein Heilmittel gegen das Übel an welchem die modernen Versklavten
leiden: die Verstümmelung. Es basiert auf der Chirurgie, den Antibiotika oder
den Chemotherapien mit denen die Erkrankten der Warenmedizin behandelt werden.
Die Symptome der Krankheiten werden bekämpft, nicht deren Ursachen. Die Suche
nach diesen Ursachen würde nämlich unvermeidlich zu einer Verurteilung der
bestehenden sozialen Ordnung in ihrem Ganzen führen.
So wie das System jedes Detail unserer Welt zu einer
einfachen Ware macht, wurde auch unser Körper eine Ware, ein Objekt der
Forschung und der Experimente für die Zauberlehrlinge der Warenmedizin und der
Molekularbiologie. Und die Herrschenden der Welt sind bereit alles Lebendige zu
patentieren.
Die komplette
Entschlüsselung der DNS des menschlichen Erbguts ist der Startpunkt einer neuen
Strategie, eingeführt durch die Mächtigen. Die genetische Dekodierung hat kein
anderes Ziel als die Formen der Dominanz und Kontrolle beträchtlich auszubauen.
Wie viele andere
Dinge gehört unser Körper nicht mehr uns selbst.
Kapitel X: Der Gehorsam: eine zweite Natur
„Durch ständiges Gehorchen bekommt man Reflexe der
Unterwerfung.“
Anonym
Das Beste ihres
Lebens gleitet ihnen durch die Finger, trotzdem fahren sie fort, weil sie die
Gewohnheit des Gehorchens schon immer hatten. Die Gehorsamkeit hat sich in eine
zweite Natur gewandelt. Sie gehorchen ohne zu wissen warum, das Einzige was sie
wissen, ist, dass sie zu gehorchen haben. Gehorchen, produzieren und
konsumieren, das ist die Dreifaltigkeit,
welche ihr Leben dominiert. Sie gehorchen ihren Eltern, ihren Lehrkräften,
ihren Bossen, ihren Vermietenden, ihren Verkaufenden. Sie gehorchen dem Gesetz
und den Ordnungshütenden. Sie gehorchen den Mächtigen, weil sie nichts anderes
zu machen wissen. Nichts beängstigt sie mehr als der Ungehorsam, weil dieser
ein Risiko, ein Abenteuer, ein Wechsel bedeutet. So wie ein Kind, das panisch
wird, sobald es seine Eltern aus den Augen verliert, fühlen sich die modernen Versklavten
desorientiert ohne die Macht, die sie erschaffen hat. Aus diesem Grund fahren
sie fort zu gehorchen.
Es ist die
Angst, die uns zu Versklavten macht und die uns in diesem Zustand hält. Wir
beugen uns vor den Herren der Welt, aus Furcht akzeptieren wir das Leben in
Demütigung und Elend.
Trotz unserer
zahlenmässigen Überlegenheit, richten wir uns nach dieser Minderheit, die
regiert. Ihre Stärke stützt sich dabei nicht auf ihre Polizei sondern auf
unsere Zustimmung. Wir rechtfertigen unsere Feigheit vor der legitimen
Auseinandersetzung mit den uns unterdrückenden Kräften, mit einem Diskurs
voller moralisierendem Humanismus. Die Ablehnung von revolutionärer Gewalt ist
im Geist jener verankert, die sich dem System mit den Werten widersetzen, die
dieses ihnen selbst beigebracht hat.
Die Macht selbst
jedoch zögert nie Gewalt einzusetzen, wenn es darum geht ihre Vormachtstellung
zu bewahren.
Kapitel XI: Die Repression und die Überwachung
„In einem Staat, der seine Bürger willkürlich
einsperrt, ist es eine Ehre für einen Mann im Gefängnis zu sitzen.“
Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam
gegen den Staat
Trotzdem existieren
Individuen, welche der Bewusstseinskontrolle entfliehen. Diese stehen jedoch
unter Überwachung. Jeder Akt der Rebellion oder des Widerstands wird als
abweichende oder terroristische Aktion betitelt. Die Freiheit existiert nur für
jene, welche die Wareninteressen verteidigen. Der reale Widerstand gegen
das herrschende System wird von jetzt an im Verborgenen stattfinden. Für diese
Opposition gegen das System stellt die Repression die Regel dar. Das Schweigen
der Mehrheit der Versklavten gegenüber dieser Repression findet seine
Rechtfertigung in der medialen und politischen Kampagne, welche die Existenz
des Konfliktes in der realen Gesellschaft leugnet.
Kapitel XII: Das Geld
„Und was man ehedem ‚um Gottes willen’ that, thut man
jetzt um des Geldes willen, das heisst um dessen willen, was jetzt am höchsten
Machtgefühl und gutes Gewissen giebt.“
Friedrich Nietzsche, Morgenröte
Wie alle
Unterdrückten der Geschichte brauchen die modernen Versklavten das Mystische
und ihren Gott um das Schlechte, das sie quält und das Leid das sie bedrückt zu
betäuben. Der neue Gott aber, welchem sie ihre Seele hingeben, ist nichts
anderes als das Nichts: es ist eine
Stück Papier, eine Zahl, die nur einen Wert bekommt, weil alle Welt ihr diesen
zugesteht. Es ist für diesen neuen Gott für den die Versklavten studieren, für
den sie arbeiten, für den sie kämpfen und für den sie sich verkaufen. Für
diesen neuen Gott geben sie alle Werte auf und sind bereit alles zu tun. Sie
denken, dass mehr Geld zu besitzen sie von den Zwängen befreien wird, die sie
einsperren, als ob Besitz Hand in Hand mit der Freiheit ginge. Befreiung ist Askese,
die durch Selbstkontrolle kommt. Sie ist eine Sehnsucht und ein Wollen in
Aktion. Ein Sein, nicht ein Haben. Auch braucht
es Entschlossenheit, nicht mehr zu dienen, nicht mehr zu gehorchen. Es fehlt an
der Fähigkeit mit dieser Gewohnheiten zu brechen, welche, so wie es scheint,
niemand wagt in Frage zu stellen.
Kapitel XIII: Keine Alternative zur dominanten
sozialen Organisation
Acta est fabula Vorbei ist vorbei
Den modernen
Versklavten wird eingeredet, dass keine Alternative zur Organisation der
jetzigen Welt existiert. Sie finden sich mit diesem Leben ab, weil sie denken
kein anderes haben zu können. Und genau darin liegt die Stärke der jetzigen
Herrschaft: die Illusion aufrechtzuerhalten, dass das System, das die gesamte Erdoberfläche
kolonisiert hat, das Ende der Geschichte ist. Das System macht der beherrschten
Klasse weis, dass sich an seine Ideologie anpassen, einer Anpassung an die
Welt, so wie sie ist und so wie sie immer war, gleichkommt. Von einer anderen
Welt zu träumen ist ein von den Medien und den Mächtigen einstimmig
verurteiltes Verbrechen geworden. In Wahrheit jedoch begehen diejenigen die Verbrechen, die
bewusst oder nicht an der Demenz der dominanten sozialen Organisation mitwirken.
Es gibt kein grösserer Wahnsinn, als der des gegenwärtigen Systems.
Kapitel XIV: Das Bild
„Und wenn er's nicht tun will, so sollst du dennoch
wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast
aufrichten lassen, nicht anbeten wollen.“
Altes Testament, Daniel 3.18
Angesichts der
Verwüstung der realen Welt ist es für das System nötig das Bewusstsein der Versklavten
zu kolonisieren. Den Kräften der Repression geht im herrschenden System die organisierte Abschreckung
voraus, die ihre Aufgabe der Ausbildung der Versklavten von Kindesalter an erfüllt.
Sie müssen ihren sklavischen Zustand, ihr Gefängnis und ihr miserables Leben
vergessen. Es reicht diese hypnotisierte Menge zu sehen, verbunden mit dem
Bildschirm, welcher sie durch ihr alltägliches Leben begleitet. Sie verbergen
ihre permanente Unzufriedenheit mit dem manipulierten Abbild eines Traumlebens,
gemacht aus Geld, Ruhm und Abenteuer. Jedoch sind ihre Träume so bedauerlich,
wie ihr elendes Leben.
Es gibt für alle
und für alles Bilder. Diese Bilder enthalten die ideologische Botschaft der
modernen Gesellschaft und dienen als Instrument zur Vereinheitlichung und zur
Propaganda. Sie nehmen in dem Masse zu, wie der Mensch von seiner Welt und
seinem Leben enteignet wird. Es ist das Kind, das das erste Ziel dieser Bilder
ist, um die Freiheit seiner Kindheit zu ersticken. Man muss sie dumm machen und
ihnen jede Form von Reflexion und Kritik nehmen. All dies geschieht mit der erschreckenden
Komplizenschaft der Eltern, die aufgegeben haben sich der Schlagkraft der modernen Kommunikationsmittel
zu widersetzen. Sie selbst kaufen die Waren, die nötig sind ihre Nachkommen zu
unterwerfen. Sie kümmern sich nicht um die Ausbildung ihrer Kinder und liefern
sie als Ganzes dem System der Verdummung und der Passivität aus.
Für jedes Alter
und für jede soziale Klasse existieren Bilder. Und die modernen Versklavten
verwechseln diese Bilder mit Kultur und manchmal mit Kunst. Das System
appelliert an die niedrigsten Instinkte um seine Waren zu verkaufen. Und die
Frau, doppelt versklavt in der heutigen Gesellschaft, ist diejenige, die den
höchsten Preis bezahlt. Sie wird darauf reduziert ein einfaches Objekt des
Konsums zu sein. Die Revolte selbst ist zu einem Bild verkommen, das verkauft
wird um das subversive Potential besser zu zerstören. Das Bild ist heute immer
die einfachste und wirkungsvollste Form der Kommunikation. Modelle werden
konstruiert, die Massen werden stumpfsinnig gemacht, sie werden belogen,
Frustration wird in ihnen hervorgerufen. Die Ideologie der Ware wird durch das
Bild verbreitet, wobei es sich, wie immer um das gleiche Ziel handelt: verkaufen.
Sei es ein Lifestyle oder ein Produkt, eine Verhaltensweise oder eine Ware,
egal was, es muss verkauft werden.
Kapitel XV: Die Unterhaltung
„Das Fernsehen macht die dumm, die es schauen,
nicht die, die es machen.“
Patrick Poivre d’Arvor
Diese armen Menschen
amüsieren sich, aber diese Vergnügungen dienen zu nichts anderem als sie vom
wahren Übel, das sie bedrückt, abzulenken. Sie lassen alles mit ihrem Leben
geschehen und täuschen vor, stolz zu sein. Sie versuchen ihre Zufriedenheit zu
zeigen, wobei sich jedoch niemand täuschen lässt. Sie schaffen es nicht einmal
mehr sich selbst zu täuschen, wenn sie sich im Spiegel sehen. So verlieren sie
ihre Zeit damit, Idioten zuzuschauen, die die Aufgabe haben, sie zum Lachen
oder zum Singen, zum Träumen oder zum Weinen zu bringen.
Durch den
medialen Sport erleben die modernen Versklavten die Erfolge und die Misserfolge,
die Stärken und die Siege, die sie in ihrem eigenen Alltag nicht mehr erleben
können. Ihre Unzufriedenheit verlockt sie, ihr Leben stellvertretend durch den Fernseher
leben zu lassen. Während die Kaiser im alten Rom die Unterwerfung des Volkes
mit Brot und Spielen kauften, wird heute mit Vergnügungen und dem Konsum der
Leere das Schweigen der Versklavten erkauft.
Kapitel XVI: Die Sprache
„Wir
glauben die Worte zu beherrschen, jedoch sind es die Worte die uns
beherrschen.“
Alain Rey
Die
Bewusstseinskontrolle ist im Wesentlichen das Resultat des Missbrauchs der
Sprache durch die wirtschaftlich und sozial dominante Klasse. Da sie die
Besitzerin der Gesamtheit der Kommunikationsmittel ist, verbreitet die Macht
ihre Ideologie der Ware durch die starre, unvollständige und parteiische
Bedeutung, die sie den Worten beimisst.
Die Worte werden
als neutral und ihre Bedeutung als offensichtlich präsentiert. Aber unter der
Kontrolle der Macht zeigt die Sprache immer eine andere Sache als das wirkliche
Leben.
Es ist vor allem
eine Sprache der Resignation und der Machtlosigkeit, die Sprache des passiven
Akzeptierens der Dinge so wie sie sind und so wie sie bleiben müssen. Die Worte
arbeiten im Auftrag der dominanten Struktur des Lebens, wenn wir die
Sprache der Mächtigen nutzen, verdammt uns dies zur Machtlosigkeit.
Das Problem der
Sprache ist zentral im Kampf für die
Emanzipation der Menschheit. Es ist keine Form der Herrschaft unter anderen, es
ist das Herz selbst des Projektes der Unterwerfung des totalitären Warensystems.
Es ist durch die
Wiederaneignung der Sprache und somit der realen Kommunikation zwischen den
Menschen, die von Neuem die Möglichkeit eines radikalen Wechsels entstehen
lässt. In diesem Sinne muss das Revolutionäre mit dem Poetischen
zusammenkommen.
In der kollektiven
Auflehnung wird das gesprochene Wort durch unzählige Gruppen ergriffen und
neuerfunden. Die kreative Spontaneität findet sich in Allen wieder und vereint
uns.
Kapitel XVII: Die Illusion des Wählens und der
parlamentarischen Demokratie.
„Wählen heisst entsagen.“
Élisée Reclus
Trotz allem
denken die modernen Versklavten immer noch wie Citoyens. Sie glauben frei
wählen und entscheiden zu können, wer ihre Angelegenheiten lenken soll. Als
hätten sie die Wahl. Sie haben nichts als Illusionen bewahrt. Glaubt ihr
wirklich, dass ein grundlegender Unterschied existiert zwischen der
Sozialdemokratie und der populistischen Rechten in Frankreich, zwischen der
Demokratischen und der Republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten, der Sozialdemokratischen
und der Christdemokratischen Partei in Deutschland? Eine Opposition existiert
nicht, denn die herrschenden politischen Parteien sind mit dem Wesentlichen
einverstanden: die Erhaltung der jetzigen Warengesellschaft. Keine der
politischen Parteien, denen es gelingt an die Macht zu kommen, weist das Dogma
der Ware zurück. Und es sind diese Parteien, die mit der Komplizenschaft der
Medien den äusseren Schein bestimmen. Sie streiten sich um kleine Details,
während alles beim Alten bleiben muss. Sie streiten um zu wissen, wer die
Stellen besetzt, welche der Warenparlamentarismus ihnen offeriert. Diese
armseligen Streitereien werden von allen Medien übertragen um eine echte
Debatte über die Wahl der Gesellschaft, in der wir leben wollen zu verhindern.
Der äussere Schein und die Belanglosigkeit herrschen über die Tiefe der Auseinandersetzung
der Ideen. All das gleicht nicht im Entferntesten einer Demokratie.
Die wirkliche
Demokratie definiert sich zuerst und vor allem durch die Teilnahme der Masse der
Citoyens an der Verwaltung der Angelegenheiten der Kommune. Sie ist direkt und ermöglicht wahre
Mitbestimmung. Sie findet ihren wahrsten Ausdruck in der Volksversammlung und
im ständigen Dialog über die Organisation des Zusammenlebens. Die
repräsentative und parlamentarische Form, die sich unehrlicherweise den Namen
Demokratie angeeignet hat, beschränkt die Macht der Citoyens auf ein Recht zu
wählen, was gar nichts bedeutet, denn das Recht zwischen hellgrau und
dunkelgrau zu wählen, ist keine echte Wahl. Die parlamentarischen Sitze werden
in ihrer riesigen Mehrheit durch die wirtschaftlich dominierende Klasse
besetzt, sei sie nun von der politischen Rechten oder der sogenannten linken
Sozialdemokratie.
Die Macht ist
nicht zu erobern, sie ist zu zerstören. Die Macht ist von Natur aus tyrannisch,
ob sie nun von einem König, einem Diktator oder einem gewählten Präsidenten
ausgeübt wird. Der einzige Unterschied der parlamentarischen „Demokratie“ zu
den anderen Formen ist, dass die Versklavten die Illusion haben selbst zu
wählen, wer sie unterdrückt. Sie sind nicht Versklavte, weil Herren existieren,
es existieren Herren, weil sie sich dazu entschieden haben Versklavte zu
bleiben.
Kapitel XVIII: Das totalitäre Warensystem
„Die Natur hat weder
Diener noch Herren geschaffen.
Ich will keine
Gesetze erlassen und keine hinnehmen.“
Denis Diderot
Das dominante System
definiert sich also über die Allgegenwart seiner Warenideologie. Es besetzt zugleich
den gesamten Raum und alle Sektoren des Lebens. Alles was es uns sagt ist:
„produziert, verkauft, konsumiert, hortet!“ Das System hat alle menschlichen
Beziehungen auf Warenbeziehungen reduziert und betrachtet unseren Planeten wie
eine einfache Ware. Die Aufgabe, die uns aufgebürdet wird, ist die sklavische
Arbeit. Das einzige Recht, das das System anerkennt, ist das Recht auf
Privateigentum. Den einzigen Gott, den es verehrt, ist das Geld.
Das Monopol des
äusseren Scheins ist total. Das Einzige was an die Öffentlichkeit gelangt, sind
für die dominante Ideologie vorteilhafte Menschen und Reden. Die Kritik an
dieser Welt wird in der Flut der Medien ertränkt, welche bestimmt, was gut und
was schlecht ist, was man sehen kann und was nicht.
Die Allgegenwart der
Ideologie, die Verehrung des Geldes, das Monopol des äusseren Scheins, eine Einheitspartei unter dem Deckmantel des
parlamentarischen Pluralismus, die
Abwesenheit einer sichtbaren Opposition, Repression in all ihren Formen, der
Wille den Menschen und die Welt umzuformen. Das ist das wahre Gesicht des
modernen Totalitarismus, welcher sich „liberale Demokratie“ nennt. Besser wäre
es ihn bei seinem wahren Namen zu nennen: das totalitäre Warensystem. Der Mensch, die
Gesellschaft und die Gesamtheit unseres Planeten stehen im Dienst dieser Ideologie.
Dem totalitären Warensystem ist gelungen, was keinem Totalitarismus vor ihm
gelungen ist: Die Welt vereinheitlichen unter seinem Bild. Heute gibt es kein Entkommen
mehr.
Kapitel XIX: Perspektiven
Je weiter sich die Unterdrückung in jeden Bereich
des Lebens ausbreitet, desto mehr bekommt die Revolte die Gestalt eines sozialen
Krieges. Die Unruhen leben wieder auf und künden das Kommen der Revolution an.
Die Zerstörung der totalitären Warengesellschaft
ist keine Frage der Anschauung, sie ist eine absolute Notwendigkeit in einer
Welt, die bekanntermassen verdammt ist. Weil die Macht überall ist, muss sie
auch überall und immer bekämpft werden.
Die Neuerfindung der Sprache, die permanente
Revolution im alltäglichen Leben, der Ungehorsam und der Widerstand sind die
Schlüsselworte der Revolte gegen die etablierte Ordnung. Aber damit aus dieser
Revolte eine Revolution wird, müssen alle individuellen Ansichten in einer
gemeinsamen Front vereinigt werden.
Es ist die Einheit aller revolutionären Kräfte,
die handeln muss. Und getan werden kann es nur im Bewusstsein der vergangenen
Niederlagen: weder der fruchtlose Reformismus noch die totalitäre Bürokratie
können eine Lösung für unsere Unzufriedenheit sein. Es müssen neue Formen der
Organisation und des Kampfes gefunden werden.
Die Selbstverwaltung in den Betrieben und die
direkte Demokratie auf kommunaler Ebene bilden die Grundlage dieser neuen
Organisation, welche antihierarchisch in ihrer Form und ihrem Inhalt sein muss.
Die Macht ist nicht zu erobern, sie ist zu
zerstören.
Kapitel XX: Epilog
„O edle Herrn, des Lebens Zeit ist kurz (…)
Wir treten Kön’ge nieder, wenn wir leben.“
William Shakespeare
Jean-François Brient
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